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Aus der Radiopraxis, im Mai 1924

oder: Vom offenen Saitenflügel zum Empfang

Im Berliner Tageblatt [ Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Digitalisat in der Staatsbibliothek zu Berlin, ZDB https://ld.zdb-services.de/resource/2764651-8 ] erschien wöchentlich die Rubrik RADIO-SPIEGEL / Technische Nachrichten / Populäre Ankündigungen. Am 8. Mai 1924 liest man – offenbar in Beantwortung der Frage eines Lesers oder einer Hörerin – folgenden praktische Hinweis zur heimischen Praxis:

Noch in der Antwort spürt man die der Frage mutmaßlich zugrundeliegende Vorsicht, das auch repräsentative und kostbare Musikinstrument, die Repräsentation bürgerlicher Musikkultur im heimischen Wohnbereich, durch solche Instrumentalisierung für neue Formen der Vermittlung und Rezeption (sic) nicht zu beschädigen oder zu verletzen. Der Flügel kann so eine Rolle bei der Modernisierung des Musikbetriebes spielen, ohne mechanisch umgebaut werden zu müssen – man denke etwa an die Implantierung oder den Vorsatz von Walzenklaviergeräten zur Reproduktion von Klaviermusik auf bespielten Rollen -, er braucht auch nicht mitzutönen, steht aber der Modernisierung von Wiedergabeverfahren offen: all dies, ohne daß er darunter leidet.

Der Hinweis zur Befestigung der Antenne an einem beim Klavierspiel, nicht beim Radiohören, nicht aktiv mitschwingenden Teil des Musikinstruments deutet aber darauf hin, dass die neue Radiopraxis noch zeitlich beschränkt ist, nämlich auf jene Tageszeiten, zu denen nicht musiziert wird. Der Flügel dient in Zukunft wechselweise zwei grundverschiedenen Arten des Empfanges von Musik: im Radio etwa, so listet es die Unterrubrik „Die heutigen Rundfunkprogramme“ für die Sender Berlin und London auf derselben Zeitungsseite auf, wären das im Studio gesungene Opernarien, Flötenkonzerte und Opernparaphrasen, begleitet „Am Flügel“ vom Kapellmeister Otto Urack aus Berlin. Wahlweise wäre aus London ein Volkstümliches Konzert der Kapelle der Fliegertruppe zu hören, interessanter scheint aber die Idee der Reproduktion eines im im Studio gespielten Flügels anhand der Verwendung eines zu Hause zur Antenne umfunktionierten Flügels.

(Fs. … Drähte, Saiten und die drahtlos übertragene Musik; elektroakustische Verstärkung der Neo-Bechstein-Flügel (später?) … ; 2024072304 Geburt des Empfanges aus dem Saitenflügel)